Globaler Rückzug: Internationale Anleger meiden chinesische Aktienmärkte

Globale Investoren ziehen 75 Prozent ihrer Kapitalanlagen von Chinas Festlandsbörsen ab, wodurch das Anlagevolumen auf den tiefsten Stand seit 2015 sinkt.

Internationale Investoren ziehen75 Prozent ihrer Kapitalanlagen von den chinesischen Festlandsbörsen ab, was zu einem Rückgang des Anlagevolumens auf den niedrigsten Stand seit 2015 führt. Seit Januar haben sie umgerechnet mehr als 22,3 Milliarden Euro aus Aktien in Shanghai und Shenzhen abgezogen, was 75 Prozent der ausländischen Kapitalanlagen an den beiden Börsen entspricht.

Diese Daten basieren auf Berechnungen des Handelsblatts unter Verwendung der Daten des Stock-Connect-Systems an der Börse in Hongkong. Internationale Kapitalanleger nutzen dieses System, um aufgrund der chinesischen Kapitalkontrollen in den Märkten von Shanghai und Shenzhen zu investieren.Insgesamt sind sie derzeit noch mit rund 7,4 Milliarden Euro in China investiert, was den niedrigsten Stand seit 2015 darstellt – dem ersten Jahr nach Einführung von Stock Connect.

Im Januar hatten viele internationale Investoren, nach dem Ende der strikten Corona-Restriktionen in China, aufgrund ihrer Erwartung einer schnellen wirtschaftlichen Erholung in China noch mehr als 19 Milliarden Euro an Kapital in das Land investiert. Jedoch wurden im März ihre Hoffnungen enttäuscht, als sich abzeichnete, dass der Aufschwung nicht so stark ausfallen würde wie erhofft. Insbesondere Hedgefonds sicherten ihre Gewinne und zogen ihr Geld aus China ab.

Die Hoffnung auf ein großes Konjunkturprogramm der chinesischen Staatsführung im Juni und Juli führte dann zu erneuten Kapitalzuflüssen. Seit August hat sich jedoch erneut Ernüchterung breitgemacht, was zu anhaltenden Kapitalabflüssen führte. Die anhaltende Krise auf dem wichtigen Immobilienmarkt, der früher bis zu einem Drittel zum chinesischen Wirtschaftswachstum beitrug, verunsichert die Investoren zusätzlich. Hinzu kommen die geopolitischen Spannungen zwischen China und dem Westen, insbesondere den USA.

Der chinesische Leitindex CSI300, der die 300 meistgehandelten Aktien in Shanghai und Shenzhen umfasst, hat seit Jahresbeginn mehr als zehn Prozent verloren. Jedoch machen internationale Investoren nur einen kleinen Teil des Handelsvolumens an den Festlandsbörsen aus, da mehr als 70 Prozent der dortigen Investoren Privatanleger sind. Dies zeigt, dass auch die inländischen Investoren vorsichtig bleiben.

Die Staatsführung versucht zwar, chinesische Sparer dazu zu bewegen, statt in Immobilien in Aktien zu investieren, jedoch ohne große Erfolge. Der breitere Index MSCI China, der auch chinesische Werte enthält, die in Hongkong oder den USA gelistet sind, hat seit Jahresbeginn neun Prozent verloren. Beide Indizes befinden sich auf dem Weg, das dritte Jahr in Folge mit einem Minus abzuschließen.

Laut einer Analyse der US-Investmentbank Goldman Sachs ist das aktuelle China-Exposure aktiv gemanagter Fonds so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Vor allem Fondsmanager aus den USA und der EU haben sich seit März von China-Aktien getrennt, was zu den größten kumulativen Abflüssen seit 2018 führte, wie Daten von Morgan Stanley zeigen. Mehr als die Hälfte der auf Asien spezialisierten Fondsmanager wartet derzeit ab oder sucht bereits aktiv nach Anlagealternativen, da sie unsicher sind, ob es glaubhafte Anzeichen für eine Erholung der chinesischen Wirtschaft gibt. In den vergangenen Monaten stieg die Nachfrage nach Investmentprodukten, die asiatische Anlagen, jedoch keine aus China, enthalten.

Aufgrund der anhaltenden Wachstumsschwäche und politischer Risiken meiden nicht nur internationale Finanzinvestoren China, sondern auch viele Unternehmen bringen ihr in China verdientes Geld außer Landes. Im dritten Quartal verzeichnete die Volksrepublik zum ersten Mal seit 1998 per saldo einen Abfluss von ausländischen Direktinvestitionen.

Mit Blick auf die zukünftige Entwicklung Chinas fragen sich viele Anleger, wie es 2024 weitergehen wird. In den vergangenen Tagen haben viele Investmentgesellschaften ihre Ausblicke veröffentlicht, wobei einige speziell auf China eingehen. Einige, wie die französische Investmentbank BNP Paribas oder der US-Aktienbroker Charles Schwab, stellen sogar die Frage: “Ist China investierbar?”. Dies verdeutlicht das Ausmaß der Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung der Volksrepublik.

Laut James Fletcher, Gründer von Ethos Investment Management, gibt es immer noch “viel Pessimismus und eine abwartende Haltung unter den Investoren” und er glaubt nicht, dass “ausländische Beteiligung in nennenswerter Weise” zurückkehren wird. Einige Investmentgesellschaften sehen jedoch angesichts der niedrigen aktuellen Kurse Einstiegschancen. Im November haben internationale Investoren weniger Kapital von den chinesischen Festlandsbörsen abgezogen als in den Vormonaten, was auch auf das geringe verbliebene Investitionsvolumen zurückzuführen sein könnte.

Während zwischen August und Oktober etwa 22 Milliarden Euro abflossen, beliefen sich die Kapitalabflüsse im November nur noch auf etwa 200 Millionen Euro. An der Börse Shanghai gab es sogar einen leichten Zufluss an Kapital. Dies gibt Grund zur Hoffnung für das kommende Jahr. Laut Jeffrey Kleintop, leitender Anlagestratege bei Charles Schwab, sind dafür insbesondere das jüngste Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joe Biden und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping sowie das angekündigte schuldenfinanzierte Stimulusprogramm der chinesischen Staatsführung in Höhe von umgerechnet mehr als 130 Milliarden Euro verantwortlich.

Die Kapitalmarktexperten von Goldman Sachs prognostizieren für das kommende Jahr Zuwächse von zwölf Prozent für den CSI300 und 15 Prozent für den MSCI China.

(eulerpool-AFX)

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